BR-1034— F83-1770 v.1-2

F uesslin, Johann Conrad, { 1704-1775.

Johann Conrad F uesslins Neue und unpartbevische

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Johann Conrad Füeßlins

Caͤmmerers des Winterthurer Kapitels

neue und unpartheyifche

Firchen—

und

Fetzerhiſtorie

der mittlern Zeit.

Stute Theil.

Sranffurt und Leipzig, bey Ehriftian Gottlob Hilſchern. 1772,

Vierter Abſchnitt.

Das erſte Capitel.

Inhalt.

Die Sonderlinge von Ruͤty haben ſich vermuthlich in der Schweiß ausgebreitet. Im Jahr 12 15 werden Sonderlinge im Thurgau angetroffen. Hartmanns Nachricht von denfelbigen. Diefe Nachricht wird ger prüft. Sartmann befchreiber fie als Lafterhafte und unzuͤchtige Leute. Hottinger hat gemeiner , diefes _ würde Ihnen zur Laſt gelegt, weil fie fin dem Eheverbos der Geiftlichen widerſetzet. Berhalten der Geiftlichen in dem Biſthum Saufanne wegen des Eheverbors. Ihe Verhalten im Biſthum Coſtnitz. Die Bürger von Zuͤrch wollen, die Geiftlihen ihrer Stadt follen Feine Kebsmweiber haben, Bifhoff Conrad nimmt fich diefer Seiftlihen an, Er drohet den Bürgern von Zuͤrch mit dem Bann , wenn fie fi) unterftünden ‚ihre Geiſt⸗ lichen, oder derfelden Weibergen zu beleidigen, Der roͤmiſche Hof nennet die verehelichten Geiftlichen Hurer.

42 Einige

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Einige Sonderlinge werden in der Schweitz verbrannt. Die Srancifcaner Fommen nach) Lucern, und dle Domls nicaner nach Züch. Die Herren am Stifte wollen felbige nicht leiden. Der Pabft verhilft ihnen dahin. Ohne Zweifel hielt er ihre Anmwefenheit daſelbſt für dienlich, die Keger auszutilgen. Ketzerthurn in Zuͤrch. Urfache diefer Benennung. Zu Kaifer Friedrichs II Zeiten find viele Keger in Schwaben. Kranzens Bes richt von denfelbigen. Sie find vermuthlich Waldenfer gewefen. Diefelbigen verſchmaͤhen die römifche Geifts fichfeit. Hingegen rühmen fie ſich ſelbſt. Herzog Eonrad befihüger fie. Der Adel in Schwaben ift wider fie. Unterfchied zwifchen dem Adel in Schwaben und dem in einem groffen Theil Franfreihs. Im Jahr 1277 werden Sonderlinge in dem burgumbifchen Theil des Schweigerlandes entdecket. Stertler hält fie für Albigenfer. Diefe Meinung wird geprüft. Was die vermifchten Waldenfer gemefen find, Manichaer hals ten fic) in Defterreich auf, Sie machen den römifchen Gottesdienft mit. Sie breiten fi ftarf aus, Sie reden oft verwegen von dem römifchen Gottesdienſt. Sie werden für Adamiten ausgefchrien. Diefe Vers leumdung wird von ihnen abgelehnt. Ihre Lehren werden geprüft. Am Fahr 1339 werden zu Cofinik drey Männer als Keger verbrannt. Sohannes von MWirterthur Nachricht von denfelbigen., Ihre Lehren von GOtt, ‚den göttlichen Perfonen ‚der Brodvermands Jung in der Meß, und dem Eheftande werden geprüft. Bon den Begharden und Beginnen, Bon den Geis« lern. Etterlins Nachricht von denfelbigen. Es finden fh um diefe Zeit andere Sectirer in der

ir⸗

CRHFEND 5

Klrche ein, welche fich beffer mit derfelbigen vertragen

konnten. Diefe ftaruiren eine ganzliche Selbſt vernich⸗ tung. Sie betrachten GOtt als ein Eins, aus dent alles auggefloffen ware, und in welches alles wieder zur ruͤck kehren muͤſte. Heinrich Säus ift einer derfelbis gen. Er ift in Schwaben und in der Schweiß berühmt, Elifaberh Stahl, eine Nonne zu Toͤß, ift feine Anhans gerin. Die Myſtiker haben den Saͤus unter ihre Vor⸗ gänger gezähler. Einige Umftande von deffelbigen Le⸗ ben. Um das Jahr 1380 find Sonderlinge zu Genf und zu Aubonne. Die Kegerrichter verfahren gegen felbige mit der Eonfifcation. Perrins Urtheil von diefen Sonderlingen. Um gleiche Zeit find Sonder, linge zu St. Ballen. Nachricht von denfelbigen. Sie werden für Böhmen ausgegeben. Bon Kaifer Carls IV Froͤmmigkeit. Sie gründet ſich auf den römifchen Glaus - ben. Des Dubravius Nachricht von demfelbigen. Don Dulcn. Ob fi deffen Anhänger in Böhmen ausgebreitet haben? Don Huß, von Wiclef und den Sollarden. Strenge des Kaifers Karl wider die Keger. Sonderlinge zu Bern und Freyburg. Lehren, die diefe Sonderlinge betrieben haben, nad) Caſpar Langens Ers zahlung. Deflen Nachricht wird geprüft. Gedachte Sonderlinge koͤnnen Waldenfer genennt werden. Wal⸗ denfer find dagumal ein Zufammenfluf vieler Sectirer gewefen. Der Fanaticiſmus dringer bey den Waldens fern ein. Selbige haben einen groffen Anbang in der Schweitz. Tſchudis Nachricht von denfefbinen. Sie müffen ihren Glauben abſchwoͤren. Sie thun es aber nicht aufrichrig.

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& CREFND i

Ich habe im vorigen Abſchuitt berichtet, daß zu Rs Ruͤty, im Canton Zuͤrch, Sonderlinge ge⸗ Kſeſſen haben, welche im Jahr 1206 von unge⸗ fähr offenbar geworden find. Man kam aus den ums liegenden Drten zu ihnen , von ihnen zu lernen, Diele lieffen fich in ihre Secte aufnehmen. Die benach⸗ barien Drte waren die Einwohner in der Mark, in der Herrfchaft Utznach, in der Grafſchaft Toggen⸗ burg, in der Graffchaft Syburg , und auf der einen Seite der Zürcherfee. Es if alfv zu vermuthen, daß fie ihre Secte in diefen Landen Ausgebreitet haben, Ob fie wol den Hof Nüty den Prämonftratenfers Mönchen abtretten muften, haben fie doch keines wegs aufgehoͤret zu ſeyn. Es iſt auch ihre Secte nicht untergegangen. Sie haben dieſelbige ohne Zweifel deſto ernſtlicher betrieben. Weil ſie einige Jahre hernach die neue Cloſterſcheune verbrannt haben, ſo ergiebt ſich erſtlich daraus, daß ſie ſich nicht weit von Ruͤty niedergelaſſen haben. Zweytens kan man daraus ſchlieſſen, daß ſie fortgefahren haben, Feinde der roͤmiſchen Kirche zu ſeyn. Sie waren nicht allein. Das Land war voll Sonderlinge. Hartmann fchreibet in den Tabrzeitbüchern des Llofter Linz fieölen ’), daß um das Jahr ızı5 eine Secte im Thur⸗

1) Hartmannus in Annalibus Eremi ad An. 1216 Sub idem tempus in Alfatia et etiam in Turgouia Haerefis noya et pudenda emerfit adferentium carnium et aliorum cibo- rum efum quocunque die et tempore , tum vero omnis

venee

ER EEND 7

Thurgau empor gekommen ‚welche dem Bifchoff von Coſtnitz und den Seiftlichen überhaupt viel zu fchaffen gemacht habe. Er fehreibet Ihnen zween Irrthuͤmer zu. Der erfte ift: Sie hätten gelehret, es wäre Feine Sünde, wenn man, obne Unterſchied der Tage und Zeiten, Sleifch und andere Speifen äffe. Der andere ift: Sie hätten bebauptet ‚die Venuswerfe wären erlaubt und der Natur ges maͤs. Nach dem erften Satz find diefe Leute Feine Abkömmlinge der Manichäer geweſen: denn nad) derfelbigen Lehre war das Fleifcheffen Sünde, Ihre Vollkommenen durften bey Strafe der Verbannung fein Fleifch eſſen. Waldenfer Eönnen fie auch nicht geweſen feyn : meil Diefelben die Lehren und Satzun⸗ gen der römifchen Kirche , einige wenige ausgenoms men, noch nicht angegriffen hatten. Es bleibt alfo nichts übrig, als Daß man diefe Sonderlinge unter die Sanrichianer rechnet. Ich habe in dem erften Eapitel des zweyten Abfehnitts wahrfcheinlich ger macht, daß diefelbigen zu St. Bernhards Zeiten um Edln und an dem untern Rhein ſich einen ſtar⸗ Ten Anhang gemacht haben. Tas hindert ung denn zu glauben , daß fich diefelbigen auch amobern Rhein ausgebreitet haben? Zumal da fih Sanrich felbft eine Zeitlang in der Schweiß aufgehalten hat? Die Hanrichianer verwarfen alle Sakungen der römifchen Kirche , folglich auch den Linterfihied der Tage und

44 Zeis

veneris ufum nullo piaculo contracto licitum et fecun- dum naturam eſſe.

Be... ERFFND

‚Zeiten im Effen und Trinken. Peter von Bruis, Hanrichs LKehrmeifter , hatte an dem Charfreytag Crucifixe auf einen Haufen zufammen tragen laffen, und hat bey denfelbigen gebraten und gegeflen, und fo wird er andere von der roͤmiſchen Kirche beftimmte Fafttage um fo viel weniger gefchonet haben. Seine Nachfolger haben diefe Lehren erhalten. Sie mach ten Eeinen Unterfchied der Tage im Effen und Trinken. Das hat feine Richtigkeit. Allein der zweyte Satz iſt gröfferer Schwierigkeit untermworfen. Haben die Hanrichianer den Fleifchestüften fo vieles überfehen ? Haben fie geglaubt, es wäre nicht Sünde, auf was für eine Xeife man immer die Liebeswerke ausuͤbete? "Eben berichtete ich ‚daß St. Bernhard fu etwas dem Hanrich vorgeräct und ihn felbft zu einem leichtfer-

tigen Menfchen gemacht habe. Allein ich habe zur

gleich ermwiefen, daß er das ohne Grund gethan , und daß im Gegentheil zu glauben fey, Hanrich wäre ein tugendhafter Mann geweſen und hätte den Menfchen die Tugend anbefohlen. Ich zmeifle demnach daran, ob diefe Nachricht aufrichtig fey. Dem lüngern Hot⸗ tinger ift diefelbige eben ſowol verdächtig vorgekom⸗ men). Derfelbe hat dafür gehalten, diefe Leute hätten gemißbilliget, daß die römifche Kirche den Geiftlichen verböte, ſich zu ehelichen, deswegen hätte man ihnen ihre Lehren alfo ausgelegt, als wenn fie an allen Drten der Unzucht Thuͤren und Thore öfnes ten. Es hat niemals an Conſequenzenmachern ges fehlet. Ich will nur unterfüchen , ob die Vermu⸗ | thung

2) Eiche veffen Helvet. Kirchengeſchichte, T. II. ©, ı2,

AED s

tung diefes gelehrten Mannes bier ftatt haben koͤnne. Das ift gewiß, daß die Geiftlihen Teutfchlandes, befonders auch in den Biſthuͤmern Eoftnis und Lau⸗ fanne fich immer wider das päbftliche Eheverbot ges feget haben. ie trieben den Eheftand insgemein fort. Sie fügten : fie wären Eeine Engel, ſon⸗ dern Menſchen). Ihre Biſchoͤffe fahen ihnen durch die Finger. Als im Fahr 1230 das Stift zu Lauſanne in der Biſchofswahl uneinig war, und die Sache nach Rom zur Unterfuchung kam, gab Ihnen Gregorius IX einen fremden Bifhoff. Derfelbige wolte, daß die Seiftlichen nach dem Gebot des Pabits thäten und ihre Weiber wegfchaften. Allein fie em⸗ pörten fich wider ihn. Er mufte aus dem Lande weis chen. Er gieng nad) Rom und fahe fein Biſthum nicht mehr *). Conrad von Eoftnig handelte anderft. Er gebrauchte Nachficht in diefem Stücke gegen die Geiſtlichkeit feines Kirchenfprengels, wie feine Vor⸗ fahren. Die Bürger von Zürd) ärgerten fich daran, daß Ihre Öeiftlichen Aßeiber hatten. Der Rath gebot daher felbigen ‚fie ſolten ihre Weiber von ih thun. Eis nige Bürger verbanden ſich eidlich , daß fie fülche Weiber der Seiftlichen nicht in der Stadt leiden wol ten. Der Biſchoff nahm fic) feiner Brüder in Zuͤrch an. Er fchrieb den Bürgern dafelbft: 5) der Kid, A5 da⸗

3) ©. Bottingern ©. 30,

4) ©. ebendafelbit ©. 31. 5) Diefer Brief ift zu finden in Henr. Hottingeri Hiſt. Ec- cleſ. T. VII. p. 12113. Selbiger iſt unterſchrieben: datum apud Conſtantiam anno dominicae incarnationis milleſi-

mo CCXXX. xzı. Cal. lun. Indict. III.

10 vam

Damit fie fich verbunden hätten, einige YVeiber, zum Derdruß und Schmacd, der Geiftlichkeit aus ihrer Stadt zu vertreiben, wäre unbillig und er hebe denſelbigen als etwas, das der Ver: nunft, dem Recht, und der Bewonbeit zuwider wire, auf, wie er denn Macht und Beruf dazu bätte ). Er drohete ihnen dabey mit dem Bann, wenn fie Fünftigbin die Geiftlichen,, oder ibre Weibergen mit Worten, oder Werken, beleidigs ten. Die verehelichten Geiſtlichen hatten Huͤlfe von den Hanrichianern. Bruis und Sanrid) redeten heftig wider das Eheverbot. Sie ſagten, es waͤre beſſer, daß die Geiſtlichen ehelich wuͤrden, als daß ſie zum groͤſten Aergernis der Layen der Hurerey nach⸗ hiengen. Das koͤnnen die Thurgauiſchen Sonder; linge auch gelehret haben, und es kan ſeyn, daß ein eiferſuͤchtiger Moͤnch ſolches misbilligt hat. Das war die Sprache des roͤmiſchen Hofs. Er nannte die verehelichten Geiſtlichen Hurer, ihre Weiber Huren und ihre Ehe eine Hurerey. So koͤnnen auch die Sonderlinge in dem Thurgau, wegen einer guten Lehre, in uͤbeln Ruf gekommen ſeyn, als wenn 6) Item luramenta, quibus vos temere, tam fuper expulfis, quam fuper expellendis quibusdam mulierculis in con- fulionem et ignominiam Cleri mutuo obligaftis, quia pollamus et debemus , relaxamus caffantes ea, tanquam Iuri , rationi et confuetudini contraria, diftricteque vo- bis fub obtenta fupra dicti iuramenti inhibentes ‚ne oc- salione ipforum cuiuscunque fexus hominum dictis vel factis in.perfona vel rebus laedere vel confundere prae- fumatis.

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wenn fie alle Reichtfertigkeit begtinftigten. Das ift meine Muthmaſſung. Wo tüchtige Beweiſe fehlen, da hat die Muthmaſſung Statt. Inzwi⸗ fehen wurden die guten Keute um deswillen vers folge. Einige ihrer Häupter find verbrannt wor⸗ den.) Diefes harte Schickfal hatten fie fonder Zweifel den Prälaten und Aebten des Thurgaues zu danken , die fiber den Satzungen der Kirche fteif hielten. Mithin ift die Secte dadurch nicht ausge⸗ loͤſchet worden. Die Feuerftrafe vertilgete die Hanri⸗ chianer nicht; fondern machte felbige nur behutſamer. Sm Zahr 1222. drangen ſich die Francifcaner zu Lu⸗ cern, und im Jahr 1230. die Dominicaner zu Zürch ein. Die legten fanden groffen Widerſtand von Eeitender Herren am Etift. *) Der Pabſt nlchee

/ alle

7) Coniectis in ignem praecipnis Auctoribus breui extincta eft Secta. Hartmanzusl,c. Der Berfaffer fagt: Die Seete märz vertilget worden. Er hatte vielmehr fagen follen : fie ſchiene vertilget zu feyn; denn die Sonderlinge lieffen ſich dann und wann wieder merken.

8) Was ih in dieſer Sache zugetranen hat, ift aus einem Dreve Pabſt GregoriusiX au erfeben, dad Herr Yottins ger Hiſt. Eccleſ. T.V. p.aas aufbehalten hat. Die Geiſt— lichkeit zu Zuͤrch wolte die Dominicaner in ihrer Stadt nicht einniſten laſſen: weil ſie beſorgete, ſelbige moͤchten ihr ihre Einkuͤnfte ſchmaͤlern. So ſchreibt Der Pabſt: unjuerfi Eccleſiarum Praelati et Clerici Thuricenfes ſunt commoti formidantes,, ne ad Iura illorum Parochialia manus extendant (Praedicatores) Er beftrebet fi bers nad vorzubauen, Damit der alten Geiftlichfeit an den zu: fälligen Einkünften nichts abgeben möchte, Dieſes Breve ift datirt 11. Id. Mail, A, 1233 vel 1335.

alle Muͤhe an, ihnen dahin zu verhelfen. Nebſt an⸗ dern Gruͤnden führte er auch dieſen an: Weil fie un- ermuͤdete Arbeiter im Weinberge des SErrn wären und fich befcbäftigten ‚die kleinen Süchfe zu fangen). Die Eleinen Fuͤchſe find die Sonder⸗ linge , welche die roͤmiſche Kirche Keger nannte. Der Dorminicaner Abficht war , diefelbigen aufzufuchen , hernach fie auszurotten. Zu dem Ende hatten fie an denenienigen Orten Teutfchlandes ihre Niederlage aufgefchlagen , wo ihre Gegenwart wider die Kes Ger am dienlichften war. Straßburg und Marburg waren von den erften Städten , da fie fid) bekannt gemachet haben. Des Bruder Conrads von Marz burg Brauſamkeit macht groflen Lermen in der Hir ftorie und hat zu feiner Zeit noch gröfferen in den Heßiſchen und Wetterauiſchen Landen gemachet. Es ift alfo zu glauben, der Nömifche Hof babe feine befonderen Urfachen gehabt, warum er die Dos minicaner zu Zürich babe eingefegt willen mollen. Und was waren das für Lirfachen ? Die vornehmfte mag diefe geweſen feyn , Damit fie der Ketzerey in dies fer Landes⸗Gegend wehreten. Es iſt zu Zürd), un: weit des Dominicaner-Elofters ein groffer und fürch» terlicher Thurn, welcher der Ketzer⸗ Thurn genens net wird. Woher mag diefer Name feyn ? Das fort Reger ift nicht älter, als die Catharer, die man auch Baflarer , Kager, oder Keber hieſſe. Her⸗

9) Dum non ſolum vitiorum Sentes de vinea domini extir-

pare, verum etiam vulpes parvulas laborant folicite capere.

EREEND 13

Hernach wurden alle Sonderlinge alfo genam.t. Iſt es nicht wahricheinlid) , Diefer Thurn ſey von der Zeit fo benennet worden , da die Leute zu Zuͤrch ihre Wohnung aufgefchlagen haben , tvelche von dem Pabſt die Gewalt empfangen hatten, die Keser zu vertilgen ? Unter der unruhigen Neglerung Kaifer Friederichs IL. brach ein von der Roͤmiſchen Kir che verfchreyter und verfolgter Schwarm Keger in Schwaben aus der Dunkelheit hervor, Diefelbigen bedienten fich der Zwiſtigkeiten dieſes Kaifers mit den Paͤbſten, ſich an der ganzen Roͤmiſchen Kirche zu rächen. Sie beruften das Volk mit dem Glocken, Elang zufammen und predigten demfelbigen: Der Pabft wäre ein Ketzer. Die Bifchöffe und Pra⸗ Isten wären mit Sımonie befleckt. Die Priefter insgemein führten ein findliches Leben, Sie Eönnten Demnach die Gewalt nicht haben ‚die Sünden zu vergeben oder zu behalten. Rein Menſch, auch Fein Pabft , hörte die Macht ies mand den Gortesdienft zu unterfagen , oder ihn von demfelbigen suszufchlieffen :°), Cie | er⸗

10) Pulſatis Campanis et convocatis Baronibus Terrarum in Hallis Sueviae fic feruntur praedicaffe in publica ita_ tione, quod Papa eflet Haereticus , Omnes Epifcopi et Praelati Simoniaci et Haeretici,Inferiores quoque Prae- lati cum Sacerdotibus, quia in vitiis et peccatis morta= libus non haberent autoritatem at poteftatem ligandi ac folvendi , omnes effent hominum feductores. Item quod facerdotes in mortalibus (peccatis) conftituti non pof. fent conficere altaris facramentum» - Item quod nullus vivens neque Papa, neque Epifcopi,, neque alii poflent

in⸗

4 MELEND

ermunterten Demnach die Leute , welche um des Kais fers Willen in den Bann gelomen waren , daß fie fit) den Gottesdienſt nicht rauben ließen. Sie vermahnten, daß man für den Kaifer Friederich, und feinen Sohn Conrad, der in Schwaben reſi⸗ dirte, öffentlich betete , Kintemal feldige unrechtmaͤſ⸗ figer Welſe verfolgt würden. . Diefe Nachricht If von Rranzen!'). Weder er, noch andereGefchicht- fehreiber der Teutfchen haben Die Gewonheit gehabt, die Sonderlinge , die fie befchreiben , mit Namen zu nennen. Sie begnügten fich insgemein zu fagen: es waren zu dieſer Zeit Leute; oder : es waren fo graus fame Leute , welche fich wider die heilige Nömifche Kirche empoͤrten. ꝛc. Inzwiſchen zweifle ich nicht , Die Leute, von welchen Kranz hier Nachricht giebet, feyen Waldenſer, oder Juͤnger derfelbigen gemefen. Die VBaldenfer hatten ſich jest allenthalben ausges breitet. Es war faft Fein Land in Europa, da fie nicht Anhänger gefunden hatten. Was Kranz feis nen Sonderlingen in den Mund leget, war. ihre Sprade. Sie brauchten ihre Beredfamkeit, die Seiftlichkeit der Nömifchen Kirche übel anzuffhmwär: zen, und derfelbigen Seelen⸗Cur als etwas Schwa⸗ ches und Untaugliches abzumablen. Hingegen wols gen fie rüchtigere Mittel „der Seelen Heil zu erlangen, zel⸗ interdicere divina et qui Gröhiherene? effent Haeretieci

et feductores et permittebant in civitatibus interdicto fuppofitis divina peragere.

z1) Alberti Kranzü Ecclehaftica Hi ifkoria, er Lib. VIII, c. 13.

CREAND 15

zeigen. Kranz giebt ein Beyfpiel davon. Er bes richtet ferner fie hätten den Leuten vorgeftelt: 72) Es wäre niemand, der die Wahrheit fo treulich lehrte und feinen Blauben in Werken bewiefe, als fie und ihre Anhänger. Wann fie fid) nicht unterwunden börten, die Menfchen zu lehren, fo wide GOtt andere Lehrer aus den Steinen erwecker baben , welche die Kirche GOttes mie ihrer Predige wurden erlench« tet bsben. Die bisherigen Prediger hätten die VWabrbeit vergraben und Lügen geprer Diger. Sie hingegen vergrüben die Lügen und predigten die Wahrheit. Der Ablaß, den fie verkundigten, wäre nicht erdichter ‚oder von dem Pabft und den Bifchöffen aufgefest fons dern es wäre ein Ablaß von GOtt. Das war das Thun der Waldenſer. Sie rührten den Leuten das Gewiſſen und wann fie zerfnirfcher worden wa⸗ ven ‚liegen jie feibige beichten , und gaben ihnen Abe folution. Herzog Conrad befchügete Die Sonder⸗

linge

32) Item quod nullus effet, qui veritatem diceret et qui fidem iuftam opere fervaret, nifi ipfi et eorum focii et fi ipfi non veniflent, priusquam Deus fidem fuam pericli= tari fineret, de lapidibus excitafiet alios, qui Ecclefiam

Dei vera praedicatione illuftraflent, Praedicaverunt, ; c

inquiynt , ad hoc tempus praedicatores noftri et fepe- lierunt veritatem et promulgarunt falfitatem, Nog Contra veritatern praedicamus et fepelimus falfitatem et in fine, indulgentiam, quam damus vobis, non damus fictam vel compofitam ab Apoftolico (Papa) vel Epi« fcopis, fed de folo Deo et ordine noftro, e

a6 ERFHND

finge und fie hätten es vielleicht weiter gebracht, wann er länger das Leben gehabt hätte. Unter den

Städten , welche um des Kaifers willen in den.

Häbftlichen ‘Bann gefallen waren , war Zuͤrch eine der erften. Ob aud) dergleichen Prediger dahin gekommen feyen, Fan ich , aus Mangel der Urkun⸗ den, nicht fagen. Zum. wenigften haben fie Feine öfs fentlihen Nachfolger gehabt. Was ſie für heimliche Sünger gehabt haben, läßt ſich in einer ſolchen Dunkelheit der Zeit nicht errathen. Auch in Schwa⸗ ben find fie nicht empor gefommen. Der Adel ließ fich wider fie einnehmen. Was hat man ſich darüber zu verwundern ? Die Bifchöffe, Aebte Proͤbſte, Dom » und Chorherren waren aus dem Adel. Sie waren der fürnehmjten Edelleute Brüder , oder Söhne, oder nächfte Anverwandte. Sollten fich denn diefelbigen von ihnen getrennet , und fi) zu denen ge⸗ ſchlagen haben, welche fich wider fie empürten ? dar»

zu würde eine allzugroſſe Selbitverläugnung erfors

dert worden feyn. Es hatte bier Feine folche Beſchaf⸗ fenheit, wie mit dem Adel in dem grojten Theil Srankreihs. Daſelbſt war der Adel in andern Res ligions⸗ Begriffen erzogen worden , und er erhieite aud) feine Kinder darinnen. Sn dem Zahr 1277 wurs den in dem "Burgundifchen Theil des Schmweigers Landes ‚nemlich zu Schmwarzenburg, Sonderlinge in der Religion ausgefpüret, *:) Die Gerichtbarkeit In Religions: Sachen ftund in diefem Lande noch

bey

a3) ©. Stettlers Beſchreibung Yöchtländifeber Ge⸗ ſchichte 1.B. ©. 18.

REZEN

bey den Biſchoͤffen. Donnech bediente fich der das malige Bifchoff von Lauſanne eines Dominicaners Mönchens mit Namen Humberts, '*) die Sache diefer Eonderlinge zu unterfüchen. Ohne Zroeifel war die Kunft und Sefchicklichkeit der Dominicaner, Die Keber auszuforfchen, auch in dieſen Landen bes Fannt worden : darum bediente fich der Biſchoff eines folchen bey diefer Gelegenheit. Der Mönch befand die Beklagten als grofle Ketzer, mithin wurden fie der weltlichen Obrigkeit übergeben ‚fie zu verbrennen ' 5). Das Stadtbuch zu Schwarzenburg hat das Anges denken diefer Gefchichte aufbehalten 6), Stettler meinet, e8 waͤren Albigenfer gewefen. Er ift ohne Zweifel in der Meinung geftanden » Albigenfer und Waldenſer wären eines gervefen ‚und Die zu Schtwars zenburg verbrannten Leute hätten den rechten Glau⸗ ben in dieſen Kanden ausbreiten wollen. Allein ich habe gezeiget , was für ein groffer Unterfchied zwi⸗ ſchen Albigenfern und Waldenſern gewefen fey. Da

» « »

man nun nicht weiß, von was für einer Partey Die _

ſchwarzenburgiſchen Sonderlinge geweſen find, fo fan man aud) nichts von ihrer Verrichtung beſtim⸗ men. Das ift allezeit gewiß, daß die einen, wie die andern, die Leute von der römifchen Kirche und ihrem Gottesdienfte abgezogen haben. Zu der Refor⸗ mationgzeit find in diefer Kandesgegend Leute an den Sag gekommen , die nicht allein den Bilderdienft fehr

Zweyter Theil, B ver⸗

14) Dieſer Humbert war auß dem Convent zu Bern. 15) Solches geſchah auf Oſtern des erwaͤhnten Jahresſ. 16) Nach Stettlern in angezogener Stelle,

18 HERNE

verabſcheuet, fondern auch) die Kindertäufe und das

Eidſchwoͤren verworfen haben, Micht weit von hier 37) waren ſolche, welche in der Lehre vonder Deil, Dreyeimgkeit gruͤbelten. Wenn ſolche Geſinnun⸗ gen aus dem dreyzehenden Jahrhundert bis dahin exe halten worden find, fo könnte man fchlieffen , dag die Sonderlinge in diefer Gegend vermifchte Wal⸗

denfer oder Albigenfer geswefen wären. Die vers

miſchten Waldenſer waren, welche viele Lehren mit den Albigenfern gemein hatten’; die Albigenfer aber Abkoͤmmlinge der Nanichder, welche derfelbigen

Lehren und Gewonheiten eifrigft fortgefeset haben.

Auch dieſe Partey hatte ſich allenthalben ausgebveis tet. IhrHauptſitz in Teutichland war in Oeſter⸗ reich. In dem Jahr 1312 find. zu gleicher Zeit zu Bien 102 , in Krems 16, und zu Et. Hippolt oder Er. Pölten 11 Perfonen , wegen manichäifher Irr⸗ thuͤmer, verbrannt worden *), woraus man auf die Menge derfelbigen in diefer Landesgegend fehlieflen kan. Sie hatten Viſchoffe. Sie hatten auch Schu⸗ len, und. halbe Etädte waren von ihrer Partey.

Sie hatten allezeit Miſſſonarien, welche herum rein feten, Jünger zu machen ). Inzwiſchen machten -

fie den Bottesdienft der römischen Kirche mit , Damit fie die Feuerſtrafe von ſich abmenden möchten, Dann ‚und

17) In dem Rande der Allobrogen oder Sapoven.

“.ı$) Anonymi brevis Narratio de nefanda haerefhi adamitica in variis Auftriae locis Sec XIV. graflante „inter Hıeron, Pozii feriptores Rerum Auftriacarum T. Il. p. $34.

19) Gedachter Verfaſſer meldet: dicunt, fe habere XII, Apottolos angis fingulis Climata mundi perluftrantes.

CRFEND 19

and warn ergieng ein Gericht über fie, allein ihrer waren fo viele an der Zahl, daß fie es in einer groſſen Stadt, wie Wien war, nicht fpürten , wenn gleich 100 verbrannt wurden?) Manchmal gaben fie Durch ihre Frechheit Anlaß, dag ihre Verfolger wis der fie aufgebracht wurden. Cie redeten oft ganz verwegen und ausgelaffen. Sie nenneten die Praͤ⸗ laten und Gecularpriefter der roͤmiſchen Kirche Ders kehrer guter Leute, die Mönche Bauchdiener, die Dominicaner und Francifaner Kirchpaffen. In ihren Antiphonien pflegten fie zu fingens es ift gelogen, was man fingt; es ift gelogen, was man fieber; es ift gelogen, was mar ſagt. Wenn fie eine Predigt angeböret hatten, riefen fie einander zu: eya! wie ſchoͤn bar derigelogen ? Der Schriftſteller ) , welcher diefe Nachrichten aufbehalten hat, nennet fie Adamiten, aus was fie einem Grunde aber, weiß ich nicht. Er berichter nichts, Das fie dieſer Kegerey wegen verdächtig mach⸗ te. Dingegen erzehlet er folche Sachen von ihnen, daraus klar zu fchlieflen iſt, daß ſie Manichaͤer gewe⸗

ſen ſeyen. Nebſt dem, daß ſie alle Kirchengebraͤuche

der Catholiſchen verwarfen und verlacheten, lehreten fie; es wäre unmöglich, daß Maria eine reine! Tjungfrau geblieben wäre. Sie pflegten zu fa Bi gen? 20) Eben diefer Verfaſſer fehreibet: item quidam crematus eft in Hinsperig nomine Neumeifter, cum iam eflet ia igne pofitus ait, quod in Auftria eiusque confiniis eſſent octoginta millia hominum infestyprum haetetica pra- vitate, a1) Ermähnter Anonymus,

*

20 CAFEND

‚gen: Eva hatte einen Mann, der was gebeyfen Adam; Sert der Zeit on Mann nye Fein Fraw Bein Kind gewann; noch nimmer gethouet, alfo fteber unfer Glauben und unfer, muet. Wenn das die wahrhaftige Meinung diefer Leute ger weſen it, fo fcheinet es , fie haben geglaubt, Chris ſtus wäre gezeuget worden, wie andere Menfchen. So hat ein Theil der neuen Manichder gelehret, wie ich erwiefen habe. Die gedachten Defterreicher be ben auch) den Eheftand verdammt. Sie nannten fels bigen eine Hurerey. Sie glaubten aud) , daß die gefalenen Engel, famt dem Lucifer, zu feiner Zeit - würden feelig werden. . Sie waren hiemit von deries nigen Partey der Manichder , welche ein Urding annahmen , und dafür hielten, Zucifer wäre wegen feines Verbrechens mit feinem Anhang aus dem Himmel vertoffen worden, Diefe Leute hatten ge⸗ meldeter maſſen ihre Mißionarien, und machten Juͤn⸗ ger, wo ſie konnten, und wo es ihnen einfiel. In dem Jahr 1339 wurden dem Biſchoff von Coſtnitz drey Männer gefaͤnglich eingeliefert. Dieſe waren Ans gehörige feines Biſthums. Ob fie aber Schwaben, oder Schweißer geweſen find, wird nicht gemeldet, Diefelbigen wurden abſcheulicher Lehren befchuldis get. Der Gefchichtfchreiber,, welcher von ihnen Nachricht gibt , ift der bekannte Barfüfler, Johann von Winterrhur 22). Aus deſſelben Nachricht läßt fich ſchlieſſen, daß. diefe Leute von der Gottbeit anderſt geredet haben, als. man fonft zu veden ger

wohnt

22) In Tbefauro Scriptorum belvet. Pr 26.

EREEM 'er

wohnt war. ie haben’von der Hell. Dreyeinig⸗ keit irrige Begriffe gehabt , und das Sacrament des Altars geſchmaͤhet. Sie fagten: die Macht der Güte GOttes veroffenbare ſich ſowol in einer Laus, als in einem Menſchen. Die wahre Mei⸗ nung dieſer Leute war: GOtt waͤre das Weſen aller Weſen. Ihrer Meinung nach, war er we⸗ ſentlich in allen Dingen und alle Dinge in ibm.

Dieſen Sag übergehet der Schriftfteller und berichs

tet einen Folgefas , der ihm etwas aufferordentliches zu fepn duͤnkte. Die Lehre von der Heil. Dreyeinigs Feit haben die gemeideten Männer verfpottet. Diefer Slaubensartickel hatte Feinde von verſchiedener Art. Einige machten einen Unterſchied in den göttlichen Perfonen. Andere verwarfen diefes Geheimnis gaͤnzlich. Die drey Männer haben ferner gefagt: ein Schwein fräffe eine gefegnere Hoftie, wie eine ungefegnere. Vielleicht haben fie nicht fu uns befeheiden geredet, wie es der Bruder Johannes erzehlet. Wenn fie aber fo geredet haben, fo Ift duch ihre Meinung Feine andere geweſen, als diefe: eine Hoſtie wäre nad) der Einfegnung nichts mehr, als was fie zuvor geweſen, und es wäre ganz und gar keine Verwandlung mit derfelbigen vorgegangen. Die öfterreihifchen Sonderlinge pflegten von eins gefegneten Hoftien zu fagen : das ift der gemachte ‚Gore ??). Endlich follen fie gefagt haben : Wenn ein Wann ein Weib auf dem Altar befcyliefe, ſo wäre die Handlung fo wichtig, als wenn der

3 Pries

23) ©, erfleititten Anonymum,

22 MT NS

Priefter ce2*), Die Manichaͤer hatten mit ihrer Lehre von dem Eheftande zu verfchiedenen

feltfamen Lehren Anlaß gegeben. Die ächten Mani⸗

chaͤer hatten einen Adfchen davor. Die Secten, welche auf fie gefülget find , glengen nicht fo meit. Eie fasten nur dem Gebrauch des Eheftandes Ziel und Maas. Kinige machten aus der Vermiſchung des Mannes und Weibes eine facramentliche Eache. Man darf fich alfo nicht wundern ‚daß Leute gefunden worden find, welche gemeinet haben , wenn einer feinem Weibe beywohnete, verrichtete er eben ein wichtiges Werk, als der Prieſter bey der Conſecra⸗ tion , die fie fonft nicht hoch hielten ? Bruder Tor bannes nennet diefe Leute Degbarden , welche, wie ihre Gefellinnen , die Beginen, In der Kirchenhiftorie wol bekannt find. Don den lejten meldet eben diefer Schriftſteller 25): Sie ftelleren groffes Unheil an, difputirten von dem Wefen GOttes und der Heil. Dreyeinigfeit. Sie lehreten auch nicht recht von den Sacramenten und andern Blaus bensarticheln. Aug diefer Eurzen Nachricht ift Elar abzunehmen , daß dieſe andächtige Schweftern in Meligionsfachen mit ihren Brüdern in gleicher Ger finnung ‚geftanden find. Die Begbarden und Seginen find in der römifchen Kirche entſtanden

und begehrten fich nicht von derfelbigen abzufondern : aber die römische Kirche hat fie von ſich ausgeftoffen und verbrannt, Diefelbigen haben in dem folgenden Sahrhundert mehrere Unruhen in der Schweiß ver» urſachet. Davon werde ic) zu feiner Zeit handeln. :

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24) ©. Vitodurani Chronicon l. c. .

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1) !

ERFEND 23

Faſt um gleiche Zeit betrat eine ganz fanatifche Rotte das Schweigerland, Allein’ dDiefelbige wur mwandelbar , und feste ſich nirgends veſt, fündern gieng immer weiter. Sie beftund aus Beislern?*). Diefe Leute wurden alfo genennet ‚weil fie fich alle Tage dreymal bis auf das Blut geifelten. Sie mel»

neten dadurch GHDtt gefällig zu werden. Da andere B4 es

26) Flagellantes. Eine alte teutſche Chronick nennet fie die Puſſerer, dasıft, die Bursfertigen , Die Rente, welche Buffe thun »denn die Buſſe wurde ehemals in äufferlihen Din⸗ gen gefucht. Man feget den Urfprung der Flagellanten insgemein in Dad Jahr 1260. Meiner, ein Einſiedler von Perugia in Stalien, wird für den Urheber derielbis gen angegeben, So viel iſt gewiß, daß dieſe wahnfinnige Secte um diefe Zeit in Sieilien und ganz Italien Anhaͤn⸗ ger gehabt habe. Allein es ift nicht weniger gewiß, Daß

fie zu aleicher Zeit groffen Benfall in Böhmen und Maͤh—⸗

ven gefunden habe. Gedachte Chronick, weiche Ebrie ftorf Sofmann, einen Benedirtiner: Mönch aus dem

Kloſter St. Emmeran zu Regenſpurg zum Verfaſſer bat, und in Peziüi foriptoribus Rerum Auftriacarum T. II. p. 1042 zu finden ift, berichtet, daß die Pufferer im Jahr 1259 nah Böhmen gekommen und dag ganze Pand durch⸗ zogen haben. Sie meldet, daf viele böhmische Herren und Frauen mit ihnen gezogen feyen, und fid) gegeifelt haben. Hofmann fhreiber,, dieſe Keute waͤren weiter ges sogen und bis an den Rhein gekommen allda hatte man angefangen , fie zu verbrennen, Eine andere boͤhmiſche Chronick, welde I.c. p. 1005 zu finden iſt, meldet, fie häften im Jahr 1262 ganz Böhmen, Mahren, Poblen und Deiterreih durchſtreifet. Od wol geiſt- und welt liche Obrigkeiten ib bemuͤheten, feibige zu zerſtreuen, zu hindern und auszurotten, ſo vermochten ſie ſolches doch nicht, welches daraus zu erſehen wäre, weil iezt wieder eine Bands derſelbigen herum ſchwaͤrmete.

4 3 EREHM

es dem Heiland in der Armut nachthun wolten, und zu dem Ende ihre Guͤter verlieffen und barfus einher giengen , fo trieben es diefe einen oder zween Grade weiter. Weil der Heiland war gegeifelt worden, ſo meineten fie, man müffe fich auch geifeln , wenn

man dem Heiland nachfolgen wolte. Weil der Heis

land 33 oder 34 Zahre auf Erden gelebet hatte, fo geifelten fich einige fo viele Tage, andere hingegen hielten fich an die Jahre, Cie fagten: der Menfch müfte fich fb viele Jahre geifein, als der Heiland auf Erden gelebet hätte. Sie machten insgemein eine Brüderfchaft, deven Regel war: Vom Sauſe wan⸗ dern und fich geifeln. - Am Jahr 1348 zog eine ſolche Gefenfchaft duch Schwaben. Sie kamen nah Speyer und Straßburg und von da in die Schweitz27). Endlicd) zogen fie bis nach Avignon, allwo der Pabſt Clemens ihrer Torheit ein Ende machte °). Wo ſie fonft binfamen , find fie ale theure Blutzeugen des Heilandes aufgenommen wor⸗

den, und andächtige Leute machten fich eine Freude

Daraus fie zu bewirthen. Ob fie wol das Anfehen nicht haben wolten , als wenn fie ſich von der roͤmi⸗ fehen Kirche trenneten, fo hatten fie doch verfchiedene Dinge angenommen , woelche diefe Kirche an andern Eonderlingen verdammt hatte. ie beichteten und abfolvirten.einander ARD ohne daß fie Darzu berufen oder

27) ©, Wurfteifens Basier-Ehronid ©. 172; desglei⸗ chen Etterlins Cbronid von der Iöblichen Eidgenoffen® ſchaft S,30. Der legtere meldet, daß dieſe Bande big

auf zwey und vierzig tauſend ee angewachſen fey. 2$) li. ce.

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| wre ‘oder von einem Bifchoff ordinirt worden waren, Ete terlin füget bey: fie geboten einander, Artichel zu halten, die wider den Glauben waren. Er meldet aber nicht, was diefes für Artickel gewefen find 2°). Ich halte dafür , daß diefe Leute ein Miſch⸗ mafch aus verfchiedenen Secten waren. Das bat auch ihren intergang befördert. Keine Partey wolte

fie für die Ihrige erkennen. Sie wolten catholiſche

Chriſten feyn,fie waren es aber nicht; deswegen bat fie die catholifche Kirche ausgeftoffen. Hingegen waren andere in der Gemeinſchaft diefer Kirche, wel⸗ che nicht als Freunde derfelbigen angeſehen werden fönnen, fich aber beffer mit ihr vertragen haben. Diefe festen das Hauptwelen des Ehriftenthums in die Unterdrückung der menfchlichen Natur ‚und , fo zu

ſagen, in.eine Vergeifterung des Fleiſches. Mit

einem Wort, , fie wolten Engel auf Erden werden.

Sie nenneten das eine Entwerdung, eine inwen⸗

dige gründliche Selbftvernichtung, da der D 5 Menſch

29) Solche Artickel waren ohne Zweifel die gemeldeten, daß fie einander beichteten und abſolvirten. Sofmanns Chronick fuͤget bey: ſie ſcheueten die Prieſter und zer⸗ ſtoͤreten den Gottesdienſt und ſprachen: unſer Puſſen iſt beſſer, denn euer toͤrichtes Geſchrey, und vermeineten alſo, den Gottesdienſt uͤberall zu zerſtoͤren und zu vertil⸗ gen. Hofmann zielet ohne Zweifel auf das Chorgeſang der Mönden und feet in felbiges das Hauptwerk des Gottesdienſts. Die Geisler verwarfen felbiged, und gewannen felbft den Benfall vieler Geiſtlichen. Gedach— tes Ehronicon Bohemiae meldet: cum quibus etiam af. fenferant Praedicatores maiores et minores, ita ut Prae- eederent eos portantes aereos et vexilla,

26 REF

Menſch von aller Wirkfamkeit feiner Seelen» kraͤfte abgezogen wird ?°). Cie nenneten GOtt ein Eins, aus Dem alle Dinge ausgefloſſen waͤ⸗ ren und in welches alle wieder zurück geben würden :'). Slie glaubten, die Vollkommenheit der Menfchen beftünde In der Vereinigung mit diefem Eins, das ift, mit GOtt, und behaupteten ‚daß fie in dieſem Leben ſchon Darzu gelangen Fonnten, geinz rich Säus ??) einer der befannteften Häupter Diefer Secte, [hreibt: Der Menſch mag in diefer Zeit noch darzu Eommen, daß er ſich eins zu feyn verftebet in demienigen Wefen, welches nichts von allen Dingen ift, die man finnlicher Weife

empfinder 3); das ift, mit demienigen Weſen, das

wir GOit nennen. In einer andern Stelle fagt er? *); Man verlieret fid) in dem ewigen Nichts, das iſt, in GOtt. Es könnte vielen bedenklich vorfums

men,

30) ©. Auserlefene Lebensbefchreibungen beiliger See; len im I. Bande S. 139, 140.

31) S. daſelbſt 8.129,

32). Er wird ſonſt auch Henricus Sufo genennet. Desglei—

chen kbommt er mandmal vor unter dem DBeynamen Amandus. Den Namen Saͤus, oder Sufo, hat er von . feiner Mutter angenommen, die vom Geſchlechte eine

Säuferin war. Ohne Zweifel iR das gefchehen , weil er feine Mutter höher bielte, als feinen Vatter. Diefer war ein Weltmenfch , iene hingeg:n eine andachtige Ma: trone. Man bat eine alte Lebensbeſchreibung von ihm. Diefelbige hat der Berfaffer vorgedachter auserleſener Lebenebeſchreibungen ©, 107 erweitert.

33) ©. 152 daſelbſt.

34, Ebendaſelbſt.

CREEND 27 men, warum diefer andächtige Mann GOtt ein Nichts nenne. Allein man muß das aus feinen Grundſaͤtzen erklären. Das, was fihtbar, em⸗ pfindlich und creatürlich it, feheinet er ein Etwas genennet zu haben. GOtt war das nicht und Eonnte es nicht feyn, weil er unendlich und unbegreiflich iſt: ſo hies er ihn das Nichts, das ift, dasienige , Das man nicht befchauen-und begreifen Fan. Diefer Begriff von der Gottheit und der Achnlichkeit derfelbigen, die der Menich erwerben muß, wenn er felig werden will, brachte diefe Keute dahin, daß fie die fichtbare Welt anfeindeten und gegen ihren Leib Tiyrannen wurden. Cie quälten fich nicht allein duch Abbruch der Nahrung und des Schlafs: fondern fie marterten ihren Leib auch auf viele andere Weiſe. Cie mach⸗ ten ſich Wunden und trugen fie im Verborgenen her⸗ um. Seinrich Säus, ein Dominicaner- Mönch von Coſtnitz war einer derfelbigen. Er wurde um das Jahr 1350 in Schwaben und in der Schweiß berühmt. Seine Predigten waren. ernfihaft und drangen auf lauter Ennwerdung und Selbftvers nichtung. ie rührten viele Leute ; aber werden fie auch viele überreder haben ?_ Freunde mögen fie ihm wol zumwege gebracht haben , aber wenige Nach folger. Hingegen bekam er auch) Feinde, Einige haben ihm fo gar nach dem Leben getvachtet. Wenn Saͤus etwas hoͤrete, fo Dankete er GOtt; denn er meinete, ein Ehrift wäre von GOtt verlaffen, wenn er ohne Kreuz wäre, Ein unzuͤchtiges Weib meinete, des Saͤus Abfolution wäre Eräftiger : als die Abſo⸗

Iution eines andern Geiſtlichen. Deswegen beichtete tie

m - EREEND . fie ihm, und ſprach ihm ſodann um die Abfolution am. Säus fehlug Ihr fülche ab, wenn fie ihm nicht eine Aenderung nach feinem Sinn gelobete. Das Weib drohete hierauf dem Saͤus; er aber fehlug diefe Dro⸗ bung inden Wind. Das Weib brachte endlich die Frucht ihrer Leichtfertigkeit auf die Welt, und fagte, Säus wäre der Vatter. Saͤus nahm diefes Kreuz mit Gedult auf fich, und verforgete das Kind.” Er wurde übel berüchtiget und verfpottet 5 aber GOtt rettete feine Unfcehuld. Das Leib und einige ans dere , die ihr in ihrer Bosheit an die Hand gegangen waren, fturben nicht lange hernach. Saͤus hielte das für feinen Sieg. eine vornehmften Anhänger waren in den Frauenklöftern Toͤß, Dieffenbofen und Ottenbach. Eliſabetha Stahlin zu Töß war die⸗ ienige, die ihm nachahmen wolte. Man hat ſelbiger verſchledenes von ſeinen Schriften und Lebensum⸗ ſtaͤnden zu danken. Murer hat in der Selvetia

Sancta beyder Leben beſchrieben. Er machte aus

dem Saͤus einen wunderthaͤtigen Mann und Heilis gen auf Erden. Die Myftiker haben ihn unter ihre

Dorgänger aufgenommen. Sch glaube, daßer

wieder feine Vorgänger in den Secten , die in dem vorhergehenden befehrieben werden find, gehabt habe, Er hat nur eines und das andere an der Lehre der Manichäer , die ein Urding geglaubt haben , verbef fern müflen. In feinen Schriften gehet er weit von der römischen Kirche ab, wenigſtens hat er viele Lehr⸗ ſaͤtze derſelbigen übergangen, und dadurd) zu erkennen gegeven , daß er fie zu feiner Vollkommenheit nicht norhivendig zu fen erachtet habe, Sinzwifchen wurde

er

ERFTEND 29 er und viele feiner Anhänger von diefer Kirche geduls det: teil fie ihre Derfaflung nicht antafteten. Eis nesmals wurde Säus auf einer Verſammlung feiner Drdensbrüder wegen feiner Lehre und Aufführung angefochten. Einige warfen ihm Eeterifche Lehren vor 35), Jedoch es war ohne Folge. . Er ftarb im Sahr 1365, und es hat fid) nad) feinem Tode ge⸗ funden, daß er aufdem Rücken durch eiferne Ketten und Nägel, die er viele Jahre unter feiner Kutte getragen hatte, ganz zerfleifcht war. Ich habe oben gemeldet , daß fi in dem dreyzehenden Jahr⸗ hundert in dem burgundifchen Theile der Schweiß Sonderlinge befunden haben. Obwol diefelbigen damals mit Feuer verfolget wurden: haben fie ſich doch das ganze vierzehende Jahrhundert, und mie es feheinet, noch länger bier erhalten. Das erweile ih aus einer Bulle Pabft Clemens VII, welche Jos bann